Frank Seibel, Kulturforum Görlitzer Synagoge
Frank Seibel leitet seit 2022 das Kulturforum Görlitzer Synagoge, welche nach aufwändiger Sanierung im Juli 2021 wieder für Besucher und Veranstaltungen geöffnet ist. Neben Konzerten, Lesungen und Ausstellungen erleben Gäste ein vielfältiges Programm. Eine neue Veranstaltungsreihe lenkt vom 5. bis 18. November 2023 den Blick auf die Werke jüdischer Künstlerinnen und Künstler in Musik, Kunst und Literatur.
Frage 1: In diesem Jahr finden erstmalig die „Tage jüdischer Kultur“ statt. Verrate uns mehr!
Rund um das Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938 möchten wir daran erinnern, wie sehr die jüdischen Bürger das kulturelle und gesellschaftliche Leben in Görlitz mit gestaltet und geprägt haben. Juden waren nicht irgendwelche Fremde, sondern Nachbarn, Freunde, Kollegen, Mitschüler. Sie waren in aller Regel sehr kultivierte, gebildete und engagierte Bürger der Stadt.
Frage 2: Was erwartet die Besucher bei dieser neuen Veranstaltungsreihe und worauf freust du dich besonders?
Das Programm wird vielseitig: Konzerte, Lesungen, eine Ausstellung, Filme – und Tanztheater. Ich freue mich sehr, dass wir zum Pogrom-Gedenktag die Wiederaufnahme des beklemmend-faszinierenden Tanztheaterstücke „Jawoll!“ des Gerhart-Hauptmann-Theaters im Kulturforum erleben können. Das Stück zeigt eindrucksvoll, wie Gewalt und Machtmissbrauch im Kleinen entstehen und ganze Gesellschaften dominieren können. Spannend ist der Briefwechsel zwischen den Schriftstellern Heinrich Heine und Ludwig Börne, in dem sich das Ringen zwischen Anpassung und Eigen-Sinn deutscher Juden im 19. Jahrhundert spiegelt. Der Görlitzer Schriftsteller Paul Mühsam steht im Mittelpunkt eines Abends mit Gernot Wolfram, und den Schlusspunkt wird am 18. November die Jüdische Kammerphilharmonie Dresden setzen. Aber ich freue mich auf alle Veranstaltungen zwischen dem 5. und 18. November – dieses erste Festival ist ja auch ein Experiment, und wir sind gespannt, wie sich alles entwickelt.
Frage 3: Dein Tipp für Görlitz-Besucher?
Görlitz! Wer hier ist, ist schon mal richtig. Meine Tochter sagte mal: Woanders muss man zwanzig Minuten fahren, bis man mal etwas Schönes sieht – hier muss man zwanzig Minuten fahren, bis man etwas Hässliches sieht. Diese schöne Liebeserklärung an unsere Stadt kann ich nur unterstreichen. Mein ganz besonderer Tipp hat aber nichts mit der schönen alten Stadt zu tun. Ich kann nur empfehlen, den 15. Januar eines jeden Jahres fest im Kalender zu markieren. Dann wird auf der polnischen Seite der Europastadt ein weltbekanntes Musikstück aufgeführt, das an ein meist verdrängtes Kapitel in der Geschichte der Region erinnert. Im Zweiten Weltkrieg hat die Deutsche Wehrmacht in Görlitz das erste und größte Kriegsgefangenenlager betrieben. Hier war auch der französische Komponist Olivier Messiaen gefangen. Am 15. Januar 1941 spielte er mit drei Mitgefangenen erstmals sein „Quartett für das Ende der Zeit“ vor Publikum. Rund um dieses Datum organisiert der Verein Meetingpoint Memory Messiaen die Messiaen-Tage mit weiteren Konzerten, Vorträgen und Führungen.
Über das Kulturforum Görlitzer Synagoge
Die Neue Synagoge in Görlitz ist das bedeutendste Zeugnis jüdischer Geschichte in der Oberlausitz. 1911 geweiht, hatte die jüdische Gemeinde in der Stadt seinerzeit ein sehr selbstbewusstes Zeichen mit dem imposanten Bau gesetzt. Wie durch ein Wunder bliebt das Gebäude erhalten - als einzige der großen Gemeindesynagogen in Sachsen. Nach aufwändiger Sanierung steht das Jugendstilgebäude, erbaut nach den Plänen der beiden Architekten Walther William Lossow und Max Hans, seit 2021 als Kulturforum Görlitzer Synagoge für Besucher und Veranstaltungen zur Verfügung. Neben den regulären Öffnungszeiten für Besucher versteht sich das Haus vor allem als ein Ort der Begegnung und Kultur. Hier finden regelmäßig Veranstaltungen wie Konzerte, Lesungen sowie Ausstellungen statt.