Etappen der Stadtentwicklung
In der Gliederung von Görlitz nach Stadt- und Ortsteilen zeigen sich prototypisch wichtige Etappen der mitteleuropäischen Stadtentwicklung.
Im Anschluss an eine Burganlage auf dem hohen Ostufer der Neiße entstand um 1220 im Bereich des heutigen Untermarktes die Stadt Görlitz als Handelsplatz von Fernhändlern, die Tuche und das Tuchfärbmittel Waid aus Thüringen nach Osteuropa ausführten und Pelze, Wachs und Honig zurückbrachten.
Die Lage von Görlitz an der "via regia" (Hohe Strasse), einem der ältesten und bedeutendsten europäischen Handelswege, war dabei für die Entwicklung ein entscheidender Standortfaktor. In Verlängerung der ost-westlichen Hauptachse des Fernhandels erfolgte um 1250 die Stadterweiterung um den heutigen Obermarkt, der zum neuen, großen Handelsplatz der Stadt wurde. Am Ende des 13. Jahrhunderts umschloss ein Mauerring die Stadt, die heute als Historische Altstadt den ältesten Teil der Stadt Görlitz darstellt.
Die Historische Altstadt ist mit dem gleichnamigen Stadtteil und Sanierungsgebiet identisch und zeichnet sich durch eine Vielzahl von bedeutenden Baudenkmälern unterschiedlicher Stilepochen aus.
Auch das Gebiet der Nikolaivorstadt ist mittelalterlicher Entstehung, wurde aber im Laufe der Jahrhunderte (ähnlich wie die westliche Altstadt v.a. im 19. Jahrhundert) baulich überformt. Anders als in der Historischen Altstadt gibt es in der Nikolaivorstadt nur wenige besonders herausragende Einzelbauwerke. Hier sind es vor allem Gesamtensembles, Raumsituationen und Straßenbilder, die das unter Denkmalschutz stehende Gebiet auszeichnen. Das Gebiet der Nikolaivorstadt ist Sanierungsgebiet und umfasst nur einen Teil des gleichnamigen Stadtteils.
Die Nikolaivorstadt verkörpert in Görlitz eine besondere Wohngegend, die eher ländlich geprägt ist bzw. einen Kleinstadtcharakter besitzt.
1000 - 1200
1071 - Görlitz wird erstmalig erwähnt, als Heinrich IV. ein Dorf "villa gorelic" dem Bischof von Meißen übereignet.
1076 - Die Oberlausitz geht als Lehen an Böhmen.
um 1220 - Görlitz entwickelt sich zur Stadt.
nach 1268 - Erweiterung der Stadt rund um den heutigen Obermarkt. Sie erreicht damit jene Begrenzung, die sie für 600 Jahre bewahren sollte.
1300 - 1500
1303 - Verleihung des Stadtrechts
1329 - Gerichtsbarkeit, Münzrecht und Salzstapel
1339 - Stapelrecht für Waid
1346 - Sechsstädtebund zwischen Bautzen, Görlitz, Lauban (Luban), Löbau, Kamenz und Zittau wird gegründet.
1433 - Wappenbrief von Kaiser Siegesmund in Perugia ausgestellt
1491 - Die Bierfehde
1527 - Aufstandsversuch der Tuchmacher gegen den Rat.
Interaktive, multimediale Präsentation der Stadtgeschichte
Das Herder-Insitutut erstellte eine interaktive, multimediale Verknüpfung von Karte, Bild und Text zur Stadtgeschichte. Die Internetversion des Atlaswerkes bietet mit wenigen Klicks einen differenzierten Eindruck der siedlungstopographischen Entwicklung bis ins 21. Jahrhundert.
Quelle: Herder-Institut
Historisch-topographischer Atlas schlesischer Städte
Hinweis:
Nach dem Laden der Anwendung und dem dynamischen Intro folgt zunächst eine „Städteübersicht“. Anhand der zuschaltbaren Legende lassen sich die Grenzverschiebungen Schlesiens veranschaulichen, die vor allem im 20. Jahrhundert schärfste Zäsuren auch für die Stadtentwicklung bildeten. Zusätzliche „Informationen“ bieten verschiedene Texte zur Konzeption des Kooperationsprojekts.
Nach dem Klicken auf eine Stadt in der Übersichtskarte erscheint eine Zeitleiste, anhand derer sich die räumliche Siedlungsentwicklung der jeweiligen Stadt im Karten- und Luftbild visualisieren lässt. Die „Zusatzmaterialien“ enthalten weitere graphische Ansichten, Stadtpläne und Fotografien, die auch einen Blick in die Stadtgestalt ermöglichen, während die „Beschreibung“ instruktive Texte zur jeweiligen Stadtentwicklungsphase bietet.
1600 - 1800
1635 - Prager Frieden. Görlitz kommt mit der Oberlausitz zum Kurfürstentum Sachsen.
1779 - Gründung der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz.
1815 - Görlitz wird preußisch und ein Teil der Provinz Schlesien.
1816 - Erste Tuchfabrik in Görlitz.
1830 - Eröffnung der Wagenbauanstalt durch Christoph Lüders - noch heute größter Görlitzer Industriebetrieb.
1833 - Einführung der Steinschen Städteordnung; Bürgermeister ist Gottlob Ludwig Demiani.
1847 - Görlitz erhält Anschluss an das sächsische und an das preußische Eisenbahnnetz.
1869 - Gründung der Görlitzer Aktienbrauerei, spätere Landskron Brauerei.
1873 - Kreisfreiheit
1900 - Heute
1900 - Die Einwohnerzahl wächst von 30.000 (1860) auf 81.000. Neue Wohnviertel zwischen Altstadt und Bahnhof, zwischen Neiße und Waggonfabrik sowie jenseits des Bahnhofes entstehen.
1905 - Eröffnung des neuen Städtischen Krankenhauses.
1910 - Stadthalle als Stätte der Schlesischen Musikfeste eröffnet.
1925 - Görlitz erhält Flugplatz.
1945 - 7. Mai - abziehende deutsche Truppen sprengen alle Neißebrücken - die Stadt bleibt weitestgehend unbeschädigt.
1945 - Teilung von Görlitz in einen polnischen Teil (Zgorzelec) und einen deutschen Teil durch die Bestimmung der Lausitzer Neiße als Grenze zwischen Deutschland und Polen (Potsdamer Abkommen 1945).
1950 - Grenzabkommen mit Polen in Zgorzelec.
1971 - 900-Jahr - Feier der Stadt Görlitz.
1976 - Baubeginn in Königshufen, dem größten Neubauviertel der Stadt.
1990 - 6. Mai - Erste freie Wahlen der Stadtverordnetenversammlung nach den Gemeindewahlen 1946.
1991 - Aufnahme in die Arbeitsgemeinschaft historischer Städte. Görlitz wird Modellstadt der Altstadtsanierung.
1992 - 13. Juli - Görlitz wird Hochschulstadt - Gründung der Hochschule Zittau/Görlitz (FH).
1993 - 3. bis 5. September - Görlitz ist Ausrichtungsort des "Tages der Sachsen".
1994 - Eingliederung der Gemeinden Deutsch-Ossig, Hagenwerder/Tauchritz und Schlauroth zur Stadt Görlitz.
1995 - Görlitz vertritt die Bundesrepublik Deutschland bei der "Histeuro 95" in Luxemburg.
1996 - 925-Jahr - Feier
1997 - Görlitz wird für die Förderung des Europagedankens mit der Europamedaille ausgezeichnet.
1998 - 5. Mai - die Europastadt Görlitz/Zgorzelec wird proklamiert.
1999 - 1. Januar - Eingliederung der Orte Kunnerwitz mit Klein Neundorf, Ludwigsdorf mit Ober-Neundorf und Flächenabtretungen von der Gemeinde Schöpstal nach Görlitz.
1999 / 2000 - Internationale Jacob-Böhme-Ehrung der Europastadt Görlitz/Zgorzelec und der Region Oberlausitz/Niederschlesien.
2008 - 1. August - Große Kreisstadt des neuen Landkreises Görlitz, Kreissitz
2009 - Jugendstilkaufhaus Görlitz wird geschlossen, umfangreiche Modernisierungen des Kaisertrutzes und des Barockhauses Neißstraße 30 in Vorbereitung der 3. Sächsischen Landesausstellung beginnen
2010 - August-Hochwasser - innerhalb weniger Stunden stieg der Pegel der Neiße in Görlitz auf über sieben Meter (Normalstand in Jahresmittel: 1,70 Meter)
2011 - 3. Sächsische Landesausstellung,
erste Badesaison am Berzdorfer See
2013 - Offizielles Flutungsende am Berzdorfer See und Inbetriebnahme des Hafens
2014 - Stadt Görlitz erhält das Zertifikat "Familiengerechte Kommune"
2015 - Görlitzer Stadtrat beschließt die „Satzung zur Bürgerschaftlichen Beteiligung in der Großen Kreisstadt Görlitz“ als rechtliche Grundlage für die Bürgerbeteiligung in Görlitz.
Görlitz im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert erlebte die Stadt ihre zweite große Blüte. Ein politisches Ereignis von europäischem Rang stand am Beginn jener Epoche. Mit der Unterzeichnung der Wiener Kongressakte im Jahre 1815 endete für Görlitz die 180-jährige Zugehörigkeit zur sächsischen Krone. Preußens König Friedrich Wilhelm III. übernahm mit dem nordöstlichen Teil der Oberlausitz verträumte Provinzstädte wie Görlitz, Rothenburg, Lauban, Niesky und Hoyerswerda. Ihr Kennzeichen waren kraftlose Verwaltungen und zerrüttete Finanzhaushalte. Fortan gehörte die preußische Oberlausitz zur Provinz Schlesien und unterstand dem Regierungsbezirk Liegnitz.
Görlitz war 1815 eine Stadt mit gut 8.700 Einwohnern. Als Durchgangs- und Einquartierungsort der kriegführenden Parteien hatte es in der napoleonischen Zeit Schäden hinnehmen müssen. Nur langsam erholte sich die Stadt und lebte schließlich zu Beginn der dreißiger Jahre merklich auf. Gefördert wurde dies unter anderem durch die Einführung der preußischen Städteordnung 1833 und die Bildung des Deutschen Zollvereins 1834. Erste Tuchfabriken und Wollspinnereien, die der Wasserkraft wegen sich meist an der Neiße niederließen, deuteten bereits ab 1816 auf die Veränderung des wirtschaftlichen Profils der Stadt hin. Nachdem die industrielle Revolution sich voll entfaltet hatte, schlug sich dies auch auf die Bevölkerungszahl nieder: Im Jahre 1847 wurde Görlitz mit nunmehr über 18.000 Einwohnern in die Reihe der großen preußischen Städte aufgenommen.
Die Zeit brauchte Männer mit Weitsicht, Klugheit und Unternehmerwillen. Gottlob Ludwig Demiani, seit 1833 Bürgermeister von Görlitz, war einer der fähigsten Kommunalpolitiker seiner Zeit. Mit Organisationstalent und großer Umsicht ordnete er die städtischen Finanzen und bereitete den Boden für einen gesunden wirtschaftlichen Aufschwung. Viel Aufmerksamkeit schenkte Demiani dem großen Forstbesitz. Die nordöstlich der Stadt liegende Görlitzer Heide umfasste fast 30 000 Hektar. Görlitz war so die an Grundbesitz reichste deutsche Kommune des 19. Jahrhunderts. Die kommunalen Einnahmen aus der Forstwirtschaft und der Abbau der Bodenschätze ermöglichten dem Magistrat bald eine großzügige Steuerpolitik, die Görlitz als Alterssitz attraktiv machte. Eine zentrale Aufgabe für Demiani war der Eisenbahnanschluss von Görlitz, der 1847 mit dem ersten großen deutschen Eisenbahnviadukt und dem Bahnhof 800 Meter vor den Toren der Stadt seinen Betrieb aufnahm. An der Seite von Gottlob Ludwig Demiani wirkten in jenen Jahren eine Reihe bedeutender Männer. Zu nennen sind der Schulmann Ferdinand Wilhelm Kaumann und der Baurat Friedrich Wilhelm Weinhold. Eine wichtige Rolle für die bauliche Entwicklung der Stadt spielte aber auch Carl Eduard Maximilian Richtsteig, der mit Umsicht und nicht ohne eine Portion Witz unnötig hohe finanzielle Belastungen von der Kommune abwendete. Seine "Verordnung zur Herstellung von Straßen und Plätzen" wurde als die beste ihrer Art in Deutschland bezeichnet. Die Bebauungsplanungen von 1848 und 1866/71 orientierten sich nicht nur an großen Vorbildern wie Berlin, Paris oder Wien, sie eilten in ihrer Dimension auch weit der Zeit voraus.
Vor diesem Hintergrund entwickelte sich Görlitz im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nach dem Urteil von Zeitgenossen zur anmutigsten und charaktervollsten Provinzstadt Deutschlands. Stolze Geschäfts- und Verwaltungsbauten einerseits und prächtige Wohnbauten andererseits beherrschen das Stadtbild jener Jahre. Vieles von dem, was in dieser Zeit entstand, orientierte sich an den Bedürfnissen der Pensionäre und Rentiers. Theater, Museen, die Schlesischen Musikfestspiele und ein vielfältiges Vereinsleben boten anspruchsvolle Zerstreuung. Die prächtig ausgestatteten Häuserfronten, die Kaufhäuser, Banken und Gaststätten aus der Zeit um die Jahrhundertwende prägen bis heute in seltener Harmonie und Schönheit das Zentrum von Görlitz. Dabei haben nicht nur die Fassaden Aufmerksamkeit verdient. Oft finden sich gleich hinter der Eingangstür reich ausgemalte Treppenflure, prunkvolle Geländer, Paneele, stoffbespannte Wände oder effektvolle Oberlichtkuppeln, und in den Wohnungen haben sich Stukkaturen, alte Türbeschläge und Öfen aus Meißner Porzellan mit kostbarem Dekor erhalten. So verbergen in Görlitz die schönen Fassaden des 19. Jahrhunderts auch eine bemerkenswerte bürgerliche Innenraumkultur.
Text: Dr. Andreas Bednarek
Reichtum und Stadtwachstum
Zu Beginn der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts setzte auch in Görlitz die industrielle Revolution ein, durch die die Stadt erneut aufblühte. Dieser Veränderungsprozess erfasste zunächst die für die Stadt traditionelle Tuchherstellung, führte jedoch auch zur Gründung neuer Wirtschaftszweige, vor allem von Waggonbau- und Maschinenbaubetrieben.
Görlitz war im 19. Jahrhundert die reichste Stadt Deutschlands.
Die Lage der Stadt vor den Toren des Riesengebirges, die ausgedehnten und gepflegten Parkanlagen sowie eine günstige Steuerpolitik ließen Rentiers und Pensionäre ihren Alterssitz nach Görlitz verlegen.
Mit der industriellen Revolution kam es in Görlitz zu einem sprunghaften Anstieg der Einwohnerzahlen, welche die Stadt über ihre mittelalterliche Ummauerung hinauswachsen ließ. Diese "gründerzeitliche" Stadterweiterung war zunächst auf den weit vor den Stadttoren gelegenen, 1847 in Betrieb genommenen Bahnhof hin orientiert (= Stadtteil Innenstadt), griff bis zur Jahrhundertwende auf die südlich der Bahngleise liegende Gemarkung über (= Stadtteil Südstadt) und bezog nach 1900 auch östlich der Neiße gelegene Flächen (heutiges polnisches Zgorzelec) ein.
Die gründerzeitliche Stadterweiterung bewirkte hierbei u.a. eine Verlagerung des funktionalen Stadtzentrums (Hauptgeschäftsbereich) auf eine Achse zwischen Altstadt und Bahnhof.
Städtebauliches Hauptmerkmal dieser neu entstandenen Wohnquartiere der Innen- und Südstadt ist die geschlossene Blockrandbebauung mit typischerweise viergeschossigen Mietshäusern. In bevorzugten Lagen (u.a. am Stadtpark) wurden aber auch freistehende Stadtvillen errichtet. Als Flächendenkmal steht die gründerzeitliche Stadterweiterung in Görlitz unter Denkmalschutz, zwei förmlich festgesetzte Sanierungsgebiete ("Innenstadt Nord" und "Gründerzeit West") befördern den Prozess der Stadterneuerung.
Die Bautätigkeit zwischen den beiden Weltkriegen war gekennzeichnet durch einen sozialen bzw. genossenschaftlichen Wohnungsbau im Stadtteil Südstadt sowie durch die Entwicklung gartenstadtartiger Siedlungen (Landskronsiedlung im 1925 eingemeindeten Rauschwalde, Siedlung Königshufen).
Der zwischenkriegszeitliche Geschosswohnungsbau in der Südstadt steht ebenfalls unter Denkmalschutz.
Bildquelle: großes Bild mitte: R.Weisflog